Chemische Kontamination
Als chemische Kontamination bezeichnet man die unbeabsichtigte Exposition des medizinischen Fachpersonals gegenüber Gefahrstoffen.
Das American National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) definiert „Gefahrstoff“ als Substanz, die mindestens eines der folgenden Gefährlichkeitsmerkmale aufweist: Karzinogenität, Teratogenität oder Entwicklungstoxizität, Reproduktionstoxizität beim Menschen, Organtoxizität in niedriger Dosis bei Mensch oder Tier bzw. Genotoxizität oder neue Substanzen, die bekannten Gefahrstoffen in Struktur oder Toxizität ähneln.1
Wussten Sie schon?
Ursachen
Laut Kromhout et al. ist die genaue Ursache bzw. der Wirkmechanismus dieser Exposition unklar5, in der Fachliteratur werden vor allem zwei mögliche Expositionswege genannt: Kontamination über die Haut6 oder Kontamination durch ein Aerosol.5
Kontamination über die Haut
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie es durch Berührung zu dermaler Kontamination oder „Kontaktkontamination“ kommen kann, z. B. durch:
- die Oberfläche von Arzneimittelampullen7
- die Oberfläche von Arzneimittelbehältern8
- die Zubereitung von Arzneimitteln, wie z. B. Cyclophosphamid9
- Verschüttungen
- Befüllung von Infusionssets
- Zubereitung außerhalb der Apotheke1
- und den Umgang mit Körperflüssigkeiten von Patienten, die eine Chemotherapie erhalten5,9
Eine Kontamination in diesem Umfeld lässt annehmen, dass die Ursache entweder die Zubereitung von Zytostatika oder die Handhabung von Ampullen, Behältern oder Körperflüssigkeit ist. Andere Kontaminationsursachen, die von Fachinstitutionen wie dem NIOSH diskutiert werden, sind unzureichend dekontaminierte verschüttete oder ausgelaufene Flüssigkeiten, das Befüllen von Infusionssets, die Handhabung außerhalb der Apotheke und die Wahl eines ungeeigneten Produkts.1
Aerosolkontamination
Eine Aerosolkontamination kann während der Zubereitung und Applikation vorkommen. In verschiedenen Studien konnten in der Luft messbare Konzentrationen antineoplastischer Medikamente in Einrichtungen des Gesundheitssystems nachgewiesen werden.
In den meisten Fällen war der Anteil an messbaren Konzentrationen von Gefahrstoffen in den Luftproben niedrig und die tatsächlichen Konzentrationen der Medikamente – wenn vorhanden – waren relativ gering.1 Experimentelle Untersuchungen bestätigten diese Ergebnisse.10,11
Allerdings fanden Huang et al. signifikante 5-FU-Konzentrationen an den Außen- und Innenseiten von chirurgischen Masken.10 Sessink et al. berichteten ebenfalls, dass 5-FU auf einer Maske nachgewiesen werden konnte, die eine pharmazeutische Fachkraft bei der Zubereitung einer großen Menge 5-FU getragen hat.12
Folgen
Die Folgen einer chemischen Kontamination hängen von der kontaminierenden Substanz ab. Man unterscheidet zwischen toxischer und nicht toxischer Kontamination.
Nicht toxische Kontamination
Die Exposition gegenüber nicht toxischen Arzneistoffen wie z. B. Antibiotika ist keineswegs harmlos. Als mögliche Folgen sind Hautausschlag13 und Überempfindlichkeitsreaktionen beschrieben worden,14 wodurch die Arbeitsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt werden kann.
Toxische Kontamination
- Akutsymptome
Die wichtigste Informationsquelle hinsichtlich Nebenwirkungen ist die Fachinformation zum jeweiligen Arzneimittel, die stets beachtet werden sollte. Paclitaxel beispielsweise kann Akutsymptome wie Übelkeit, Alopezie (Haarausfall) und Bradykardie auslösen.15 Studien belegen, dass nach einer Exposition gegenüber antineoplastischen Mitteln bei den Betroffenen dieselben Akutsymptome (z.B. chronischer Husten, Schwindel, Kopfschmerzen, Augenreizungen, Haarausfall, allergische Reaktionen) signifikant häufiger auftraten als bei Kontrollpersonen.16 Das wichtigste Akutsymptom ist jedoch die Mutagenität. In Studien wurden zahlreiche Mutagenitätsindikatoren wie z. B. Schwesterchromatidaustausch oder -aberrationen beobachtet.16 Da chromosomale Mutagenität ein stochastischer Prozess ist, kann schon ein einziges Molekül eine Mutation auslösen. Aus diesem Grund nennen die Fachorganisationen keine Schwellenwerte einer akzeptablen Exposition. - Chronische Symptome - Karzinogenität
Mutagenität ist zwar eigentlich ein Akutsymptom, kann aber zu der chronischen Erkrankung Krebs führen. Der Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber hochdosierten zytotoxischen Substanzen und sekundären Malignomen ist belegt. Daher klassifiziert die International Agency for Research on Cancer [IARC] viele Antineoplastika als Substanzen einer Gruppe (Karzinogene beim Menschen) [IARC]. Die stochastische Natur der Karzinogenität macht sogar minimale Dosen wie bei einer Kontamination zu einem Risiko.17 Allerdings weisen die Studien, in denen ein solcher Zusammenhang aufgezeigt wurde, infolge der geringen Zahl von onkologischen Erkrankungen in der untersuchten Population und wegen der insgesamt eher kleinen Stichprobengrößen gewisse statistische Schwächen auf. Sessink errechnete das theoretische Lebensrisiko von medizinischem Fachpersonal für eine Leukämieerkrankung mit 95-475 pro eine Million.18 Die Arbeitsgruppe um Skov beobachtete bei medizinischem Fachpersonal in Kliniken ein erhöhtes Risiko für Leukämie und Non-Hodgkin-Lymphome.19 - Wirkungen auf die Fortpflanzungsfähigkeit
Studien belegen eine erhöhte Inzidenz habitueller Aborte und Teratogenität.20 - Andere chronische Wirkungen
Laut Sotaniemi sind chronische Leberschädigung und -fibrose weitere mögliche Folgen der Exposition gegenüber toxischen Substanzen.21
Präventionsstrategien
Die folgenden Organisationen (und auch andere) haben Empfehlungen für die Prävention chemischer Kontaminationen veröffentlicht:
- National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH), USA
- Centers for Disease Control and Prevention (CDC), USA
- International Society of Pharmacovigilance (ISOP)
- Deutsche Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP), Deutschland
- Schwedisches Zentralamt für Arbeitsumwelt (Arbetsmiljöverkets författningssamling, AFS), Schweden
Die von nationalen Fachorganisationen empfohlenen Präventionsstrategien zielen auf die Reduktion der Exposition ab. Die wichtigsten Maßnahmen sind:
- Zentrale Zubereitung, um Kontaminationen durch Handhabungsfehler zu vermeiden.16 Die Zubereitung erfolgt durch speziell ausgebildetes Personal.
- Einsatz von Sicherheitsvorkehrungen, um die Freisetzung toxischer Kontaminationen zu vermeiden.1 Das Ziel ist die Verminderung von Aerosol- (z. B. durch Aerosolfilter) und Tropfkontaminationen (durch kanülenfreies Arbeiten z. B. mit einem Mini-Spike®).
Einige Kontaminationsursachen wie z. B. das Berühren der Ampullenoberfläche sind nur schwer zu vermeiden und lassen sich lediglich vermindern (Abb. 4):
- Aerosolkontaminationen lassen sich durch den Einsatz von Laminar-Airflow- (LAF) oder Isolatoren vermindern.31
- Spritz- oder Tropfkontaminationen werden durch Schutzkleidung (Kittel, Masken, Handschuhe) verhindert.16
- Außerdem werden zur Überwachung möglicher Expositionen regelmäßige Kontrollen (z. B. Bluttests) empfohlen.8 Durch systematisch durchgeführte Schutzmaßnahmen lässt sich die Exposition verringern.16
Produktempfehlung zur Risikoprävention
Literaturangaben
1 NIOSH. (2004) Preventing Occupational Exposures to Antineoplastic and other Hazardous Drugs in Healthcare Settings
2 CDC-NIOSH - Hazardous Drug Exposures in Healthcare - https://www.cdc.gov/niosh/topics/hazdrug/default.html (Zugriff: 06.2021)
3 Connor TH, Celano P, Frame JN & Zon RT Summary of the Workshop on the Safe Handling of Hazardous Drugs Cohosted by the National Institute for Occupational Safety and Health and the American Society of Clinical Oncology. American Society of Clinical Oncology (ASCO) Volume 13 / Issue 3 / March 2017 n jop.ascopubs.org
4 Lawson CC, Rocheleau CM, Whelan EA, et al. Occupational exposures among nurses and risk of spontaneous abortion. Am J Obstet Gynecol 2012;206:327.e1-8.
5 Kromhout H, Hoek F, Uitterhoeve R, Huijibers R, Overmars RF, Anzion R, Vermeulen R. (2000) Postulating a dermal pathway for exposure to anti-neoplastic drugs among hospital workers. Applying a conceptual model to the results of three workplace surveys. Ann Occup Hyg; 44(7):551-60
6 Schierl R, Böhlandt A, Nowak D. (2009) Guidance Values Surface Monitoring of Antineoplastic Drugs in German Pharmacies. Occup Hyg; 53(7): 703-711
7 Mason HJ, Morton J, Garfitt SJ, Igbal S, Jones K. (2003) Cytotoxic drug contamination on the outside of vials delivered to a hospital pharmacy. Ann Occup Hyg; 47(8):681-5
8 Schmaus G, Schierl R, Funck S. (2002) Monitoring surface contamination by antineoplastic drugs using gas chromatography-mass spectometry and voltammetry. Am J Health Syst Pharm; 59(10):956-61
9 Fransman W, Vermeulen R, Kromhout H. (2004) Occupational dermal exposure to cyclophosphamide in Dutch hospitals: a pilot study. Ann Occup Hyg; 48(3):237-44
10 Huang YW, Jian L, Zhang MB, Zhou Q, Yan XF, Hua XD, Zhou Y, He JL. (2012) An investigation of oxidative DNA damage in pharmacy technicians exposed to antineoplastic drugs in two Chinese hospitals using the urinary 8-OHdG assay. Biomed Environ Sci; 25(1):109-16
11 Connor TH, DeBord DG, Pretty JR, Oliver MS, Roth TS, Lees PS, Krieg EF Jr, Rogers B, Escalante CP, Toennis CA, Clark JC, Johnson BC, McDiarmid MA. (2010) Evaluation of antineoplastic drug exposure of health care workers at three university-based US cancer centers. J Occup Environ Med. 2010 Oct; 52(10):1019-27
12 Sessink PJ. Wittenhorst BC, Anzion RB, Bos RP. (1997) Exposure of pharmacy technicians to antineoplastic agents: reevaluation after additional protective measures. Arch Environ Health ; 52(3): 240-4
13 Gielen K, Goossens A. (2001) Occupational allergic contact dermatitis from drugs in healthcare workers. Contact Dermatitis; 45(5): 273-9
14 AFS 2005
15 Placlitaxel SmPC (2010)
16 Boiano JM, Steege AL, Sweeney MH. (2014) Adherence to safe handling guidelines by healthcare workers who administer antineoplastic drugs. J Occup Environ Hyg; 11(11):728-40
17 IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans - Overall Evaluations of Carcinogenicity: An Updating of IARC Monographs 1987. Supplement 7; Volumes 1-42
18 Sessink PJ, Kroese ED, van Kranen HJ, Bos RP. (1995) Cancer risk assessment for health care workers occupationally exposed to cyclophosphamide. Int Arch Occup Environ Health; 67(5):317-23
19 Skov T, Maarup B, Olsen J, Rørth M, Winthereik H, Lynge E. (1992) Leukaemia and reproductive outcome among nurses handling antineoplastic drugs. Br J Ind Med; 49(12): 855-61
20 Connor TH, Lawson CC, Polovich M, McDiardmid MA. (2014) Reproductive health risks associated with occupational exposures to antineoplastic drugs in health care settings: a review of evidence. J Occup Environ Med; 56(9):901-10
21 Sotaniemi EA, Sutinen S, Arranto AJ, Sutinen S, Sotaniemi KA, Lehtola J, Pelkonen RO. (1983) Liver damage in nurses handling cytostatic agents. Acta Med Scand; 214(3):181-9
22 Valanis BG, Vollmer WM, Labuhn KT, Glass AG [1993a]. Acute symptoms associated with antineoplastic drug handling among nurses. Cancer Nurs 1993(a), 16(4):288–295.
23 Valanis BG, Vollmer WM, Labuhn KT, Glass AG. Association of Antineoplastic Drug Handling with Acute Adverse Effects in Pharmacy Personnel. Am J Hosp Pharm, 1993(b), Vol. 50, 3, 455–462. https://academic.oup.com/ajhp/article-abstract/50/3/455/5180060 (Zugriff: 06.2021)
24 Valanis B, Vollmer WM, Steele P. Occupational exposure to antineoplastic agents: self-reported miscarriages and stillbirths among nurses and pharmacists. J Occup Environ Med 1999, 41(8):632–638.
25 Rogers B, Emmett EA. Handling antineoplastic agents: Urine mutagenicity in nurses. J Nurs Scholarship 1987;19:108–113. https://sigmapubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1547-5069.1987.tb00604.x (Zugriff: 06.2021)
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30 Stücker I, Caillard J-F, Collin R, et al. Risk of spontaneous abortion among nurses handling antineoplastic drugs. Scand J Work Environ Health. 1990; 16:102–107.
31 Solass W, Giger-Pabst U, Zieren J, Reymond MA. (2013) Pressurized intraperitoneal aerosol chemotherapy (PIPAC): occupational health and safety aspects. Ann Surg Oncol; 20(11):3504-11