Stuhlinkontinenz – Scham und Sprachlosigkeit trotzen
Stuhlinkontinenz ist kein Thema. Sie ist kein Thema, über das man gerne spricht, und deshalb auch kein Thema, das im Bewusstsein der Öffentlichkeit irgendwie verankert ist. Wer von Darmschwäche betroffen ist, glaubt in der Regel, mit dem Problem allein zu sein. Dabei geht die Deutsche Kontinenz Gesellschaft davon aus, dass hierzulande bis zu 5 Millionen Menschen von Stuhlinkontinenz betroffen sind. Die Dunkelziffer könnte noch weit höher liegen. 5 Millionen Menschen mit Fragen, Alltagskämpfen und dem Gefühl, allein zu sein mit der Herausforderung, zu müssen, ohne zu wollen.
Definition
Wann reden wir von einer Stuhlinkontinenz?
Es liegt eine Stuhlinkontinenz oder Darmschwäche vor, wenn der Zeitpunkt der Darmentleerung nicht mehr selbst bestimmt werden kann und Darmgase, flüssiger oder geformter Stuhl unkontrolliert austreten.
Erste Anzeichen für eine Stuhlinkontinenz können z.B. sein:
- plötzlich einsetzender Stuhldrang mit unkontrolliertem Stuhlabgang (Dranginkontinenz)
- fehlender Stuhldrang und unkontrollierter Stuhlabgang
- regelmäßiges Stuhlschmieren
Stuhlinkontinenz kann aber auch bedeuten, dass es genau NICHT gelingt, den Darm zu entleeren. Im Volksmund sprechen wir dann von Verstopfung. Und auch das ist unangenehm.
Sehr häufig geht eine Stuhlinkontinenz zusätzlich auch mit einer Harninkontinenz einher. Aber lassen Sie sich nicht beunruhigen, für beide Krankheiten gibt es gute Behandlungsmethoden.
Ursachen
Warum es passiert.
Ursachen für Stuhlinkontinenz
Für die Entwicklung einer Stuhlinkontinenz können viele Faktoren ursächlich sein.
- Sensorische Ursachen
das Empfindungsvermögen ist gestört, z.B. in Folge einer Operation. - Muskuläre Schädigungen
Die Kontrolle des Schließmuskels ist beeinträchtigt oder es liegt eine Beckenbodeninsuffizienz vor. - Nervenschädigungen
Das zentrale oder periphere Nervensystem ist geschädigt. - Darmfunktionsstörung
Dies kann z.B. in Zusammenhang mit Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa oder anderen chronischen oder akuten entzündlichen Darmerkrankungen und Durchfällen vorkommen oder infolge einer Tumoroperation.
Auch Verstopfung gilt als Stuhlinkontinenz. - Angeborene Fehlbildungen des Kontinenzorgans (z.B. Spina bifida).
Schweregrade der Stuhlinkontinenz
Viele Menschen haben schon einmal Ereignisse akuter Darmschwäche erlebt – beispielsweise im Rahmen einer akuten schweren Durchfallerkrankung, die den Aktionsradius gefühlt auf zehn Meter Toilettendistanz reduziert.
Aber ab wann kann man von wirklicher Stuhlinkontinenz reden?
Eine Stuhlinkontinenz im eigentlichen Sinne, ist in der Regel nicht an eine punktuelle Erkrankung gekoppelt, die nach zwei Wochen ausgeheilt ist. Sie überdauert einen längeren Zeitraum. Manchmal tritt sie in Schüben auf, wie im Fall von Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn. Wir sprechen deshalb auf diesen Seiten von Stuhlinkontinenz als einer chronischen Symptomatik.
Schweregrade der Stuhlinkontinenz
Stuhlinkontinenz Grad 1 | Unkontrollierter Abgang von Winden und Darmschleim mit leichter Wäscheverschmutzung |
Stuhlinkontinenz Grad 2 | Unkontrollierter Abgang von flüssigem Stuhl und von Winden |
Stuhlinkontinenz Grad 3 | Völlig unkontrollierter Abgang von festem Stuhl, flüssigem Stuhl und von Winden |
Ansprechpartner
Wer helfen kann.
An wen Sie sich bei Stuhlinkontinenz wenden können
Fachkreise gehen davon aus, dass die Dunkelziffer der Stuhlinkontinenz sehr hoch ist. Dies wird darauf zurückgeführt, dass das Thema so schambehaftet ist, dass – vor allem junge Menschen – erst dann ärztlichen Rat suchen, wenn der Leidensdruck bereits sehr hoch ist. Möglicherweise spielt auch die Angst vor möglichen Untersuchungen eine Rolle.
Die erste Anlaufstelle ist häufig ein*e Hausarzt*in oder ein*e Gynäkolog*in. Diese überweisen Sie wahrscheinlich zu einem Facharzt.
Spezialisiert auf den Darm / Magen-Darm-Trakt sind Proktolog*innen oder Gastroenterolog*innen.
Bereits ein erstes Anamnesegespräch gibt Aufschluss über mögliche Ursachen und weiteren gezielten Untersuchungsbedarf.
Weiterführende Diagnostikmöglichkeiten sind u.a. das Abtasten des Enddarms, Ultraschall- oder Röntgenuntersuchungen, Manometrie (Druckmessung) oder Endoskopie (Proktoskopie/Rektroskopie).
Wir sind für Sie da
Wenn Sie Fragen haben, unterstützen wir Sie gerne auch persönlich.
Wir sind für Sie da, montags – freitags von 08:00 – 16:00 Uhr.
Kontakt
Therapiemöglichkeiten
Was dann passiert:
Die Therapie der Stuhlinkontinenz
Eine Stuhlkontinenzstörung kann konservativ (also durch Ernährungsumstellung, Bewegung, Physiotherapie etc.) oder operativ behandelt werden. Ihre Ärztin oder Ihr Arzt wird je nach Schweregrad und Ursache Ihrer Darmschwäche entscheiden, welche Therapieform für Sie die richtige ist. Häufig werden auch verschiedene Therapieschritte gleichzeitig eingeleitet.
Ernährungsumstellung/Diät
Was Sie essen oder trinken kann sowohl Ihre Kontinenz als auch die Konsistenz Ihres Stuhls negativ oder positiv beeinflussen. Haben Sie vielleicht eine Lactose- oder Fructoseintoleranz? Auch das kann zu Stuhlinkontinenz führen.
Da das Thema Ernährung unheimlich komplex und je nach Form der Inkontinenz sehr individuell ist, empfehlen wir Ihnen, eine professionelle Ernährungsberatung in Anspruch zu nehmen.
Ein kombiniertes Ernährungs- und Stuhltagebuch hilft, Unverträglichkeiten aufzuspüren und positive Effekte zu entdecken.
Meiden | Bevorzugen | |
Durchfall | Alkohol, Bohnen, fette Speisen, Kaffee, Nikotin, Pflaumen, Rohkost, Rohmilch, zu scharf gewürzte Speisen, Sauerkraut, Spinat | Fett-, eiweiß-, faser- und gewürzarme Kost: fein geriebener Apfel, zerdrückte Banane, dunkle Schokolade, Haferflocken, schwarzer Tee, Weißbrot. |
Verstopfung | Eier, Kakao, Kartoffeln, Teigwaren, dunkle Schokolade | Vollkornprodukte, Müsli, Frisch- und Trockenobst, Rohkost, Salat, Saftschorlen (z. B. Pflaumen- oder Sauerkrautsaft) sowie Milchprodukte |
Medikamentöse Therapie
Die Pharmazeutika sind in der Regel auf die diagnostizierte Grunderkrankung abgestimmt (z.B. Morbus Crohn). Manchmal wird allerdings auch nur die Symptomatik behandelt (z.B. Abführmittel).
Physiotherapeutische Maßnahmen
Eine Reihe physiotherapeutischer Maßnahmen hat sich in der Therapie der Inkontinenz bewährt. Dazu zählen Beckenbodentraining, Biofeedback (zum Erlernen der Kontrolle) und Elektrostimulation (zur Förderung des Bewusstseins für die Muskulatur im Beckenboden).
Toiletten- bzw. Entleerungstraining
Ziel dieser unterstützenden therapeutischen Maßnahme ist es, die „Sitzungen“ zeitlich zu reduzieren und zu starkes Pressen zu vermeiden.
Transanale Irrigation (Rektal-Spülung)
Durch die regelmäßige und planbare Darmentleerung mittels rektaler Irrigation gewinnen Sie die Kontrolle zurück. Die transanale Irrigation ermöglicht eine entleerungsfreie Zeit und mehr Flexibilität im Alltag.
Bowel-Management / Darmmanagement
Ähnlich wie bei der Irrigation wird beim Bowel-Management der Darm gespült. Allerdings werden bei dieser Technik Abführmittel eingesetzt. Die Spülung erfolgt außerdem nicht nur in einem Teil des Organs, sondern im gesamten Darm.
Um das Bowelmanagement zu erlernen, müssen Sie sich in der Regel einem Krankenhausaufenthalt unterziehen. Hier werden Sie eingestellt (wie viel Spüllösung und Abführmittel wird benötigt etc.) und angeleitet.
Diese Technik hat sich vor allem bei Menschen bewährt, die unter chronischer Verstopfung leiden (Obstipation) bei neurogener Defäkationsstörung und funktionellen Stuhlentleerungstörungen.
Auch beim Bowel-Management geht es darum, ohne Windeln, Vorlagen und ähnliche Hilfsmittel auszukommen, um am sozialen Leben teilhaben zu können.
Operative Behandlungsmöglichkeiten
Je nach Diagnose und Prognose kann ein operativer Eingriff erforderlich sein, um die Stuhlinkontinenz erfolgreich zu behandeln. Dazu zählen:
- die Anlage eines künstlichen Darmausganges (Enterostomaanlage)
- gezielte Nervenstimulation mit Elektroden (Sakrale Nervenstimulation)
- der Einsatz eines künstlichen Schließmuskels oder Rekonstruktion des Schließmuskels
Sie haben Fragen zur Stuhlinkontinenz?
Unser Team um die Pflegeexpertin Andrea Zöbele berät Sie gern zu all Ihren Fragen. Haben Sie keine Scheu! Unsere Kontinenztherapeutinnen und –therapeuten sind genau auf diese Thematik geschult. Es ist ihr Beruf, Antworten auf sehr intime Fragen parat zu haben. Wie sagt man so schön? Ihnen ist nichts Menschliches fremd. Seien Sie einfach offen.
Quellenangaben:
Probst, Michael et al.: Stuhlinkontinenz, Deutsches Ärzteblatt 34-35/2010, https://www.aerzteblatt.de/archiv/78056
Dr. med Sacher, Peter: Darmprobleme bei Spina-bifida-Patienten
https://spina-hydro.ch/wpcontent/uploads/2015/09/Darmprobleme-bei-Spina-bifida-Patienten-Teil-1.pdf