SExualität und Inkontinenz

Anders. Aber gut.

Tetraplegie und Paraplegie sind Diagnosen, die einen Menschen und seine Lieben zunächst mit viel existenzielleren Fragen konfrontieren, als der nach Sexualität. Irgendwann jedoch schleicht sich dieses Urbedürfnis meist ins Leben zurück. Und dann stellen sich spannende Frage: Was kann ich? Was will ich? Wie gehe ich, wie gehen wir mit all dem um?

Sexualität mit Querschnittslähmung. Geht das?

Diese Fragen stellen sich die meisten Menschen nach der Verletzung und auch ihre Partnerinnen und Partner überlegen, wie sie das Thema handhaben sollen. In einem sind sich die Experten einig: man sollte die Sexualität nicht „totschweigen“. Offenheit schützt vor heimlicher Frustration und Missverständnissen.

Reden Sie zuerst mit Ihrem behandelnden Arzt.

Klären Sie, was in Ihrem individuellen Fall realistisch möglich ist. Überlegen Sie, ob Sie weitere professionelle Hilfe in Anspruch nehmen möchten und ob eventuell eine Medikation angezeigt ist.

Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Partner

Reden Sie mit Ihrem Partner offen über das Ergebnis Ihres Arztgespräches. Natürlich gibt es Beziehungen, die am Thema Sexualität zerbrochen sind – auch bei ganz gesunden Menschen. Umgekehrt gibt es aber auch viele Menschen, die in der Krise umso stärker zusammenwachsen.

Thematisieren Sie Ängste und Bedürfnisse

Verlust- und Versagensängste, das Gefühl, nicht mehr begehrenswert zu sein oder wenig geben zu können, belasten viele Menschen nach der Verletzung.
Umgekehrt darf man auch nicht vergessen, welche Herausforderungen der Partner oder die Partnerin meistern muss. Auch sie haben Ängste und Bedürfnisse.

Paare können auf ihre Vertrautheit bauen. Sie haben jetzt die Gelegenheit, ihre Körperlichkeit neu zu entdecken und zu definieren.

Frisch Verliebte müssen sich einen Vertrauensvorschuss geben. Sie können vielleicht aber gerade vom Reiz des Unbekannten profitieren.

Kino im Kopf

Sex findet immer auch im Kopf statt. Wie gut die Dinge funktionieren hängt auch davon ab, welchen Film Sie abspielen.

Versuchen Sie, sich freizumachen von Leistungsdenken, überzogenen Erwartungen (was erwarte ich) und fantasievollen Erwartungserwartungen (was denke ich, was der andere von mir erwartet). Ängste und Sorgen sind Genuss-Killer im Kopfkino. Der Weg ist das Ziel, denken Sie nicht in Orgasmen oder Erektionszeiten. Denken Sie in Nähe, Vertrautheit und Zärtlichkeit. Und vergessen Sie bei all dem den Humor nicht.

Gemeinsam herantasten – der Körper als Neuland

Welche Sensibilität ist nach wie vor vorhanden? Und welche motorischen Fähigkeiten wurden erhalten? Machen Sie sich auf die Suche nach neuen erogenen Zonen. Erinnern Sie sich an die Ohrenmassage im Film „Ziemlich beste Freunde?“ Sie führte bei dem Protagonisten zur Erektion. Sicher hätte er das nie herausgefunden, ohne seine Tetraplegie.

Vielleicht müssen Sie die Rollen in Ihrem Kopfkino neu verteilen. Aber auch das kann aufregend sein.

Gute Vorbereitung ist alles. Mit intermittierender Selbstkatheterisierung und/oder analer Irrigation können Sie störende Verluste von Stuhl und Harn vermeiden. Auf diese Weise können Sie sich gelassener ins Abenteuer stürzen und – hoffentlich mit ein bisschen Vorfreude – auf die Situation einstellen. In vielen Fällen sind Produkte wie Gleitcremes, Vaginalkugeln, Potenzmittel oder ein Penisring hilfreich.

Und im Übrigen sind eine schöne Atmosphäre, ein angenehmer Duft und ein besonderes Licht für alle Paare Stimmungsmacher.
Nehmen Sie sich Zeit.

Je nach Höhe der Läsion kann die Scheide trocken sein. Das lässt sich einfach durch entsprechende Pflegeprodukte (Cremes) ausgleichen. Die Sensibilität und Orgasmus-Fähigkeit sind unterhalb der Läsion eingeschränkt, aber nicht verschwunden. Viele Frauen können noch zum Höhepunkt kommen, der aber meist anders erlebt wird als vor der Verletzung. Man spricht von sogenannten „Paraorgasmen“.

Die Möglichkeiten einer Erektion beim Mann sind stark von der Höhe der Läsion abhängig. Psychogene Erektionen werden durch psychische und sinnliche Reize ausgelöst. Phantasien, optische Eindrücke, Berührungen, Geräusche führen zur Erregung.

Diese Art von Reflex-Erektion ist unter bestimmten Bedingungen möglich. Sie erfolgt durch die Stimulation der Geschlechtsorgane. Ein Penisring kann helfen, die Stimulation für den Verkehr lange genug aufrecht zu erhalten.

Bei Erektionsstörungen sollten Sie in jedem Fall medizinischen Rat suchen. Immerhin hängen Erektionsfähigkeit und empfundene Lebensqualität eng zusammen. Haben Sie keine Scheu. Man wird Sie ernst nehmen und gut beraten.

Fragen Sie immer Ihre betreuenden Ärzte und beziehen Sie Produkte nie aus Quellen, deren Seriosität nicht evident ist.

Und bei allem gilt: Locker bleiben. Nicht zu viel erwarten. Lassen Sie sich und Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin Zeit. Und bleiben Sie humorvoll. Humor kann wahnsinnig sexy sein.

PS Für alle, die sich verlieben möchten und einen Partner suchen, der (auch) ein Handicap hat, gibt es spezielle Foren. Z.B. www.handicap-love.de/