Ebba ist keine Patientin. Sie ist eine junge Frau, die den Kurs ändert, nicht das Ziel.
„Ich Glückliche!“
Sind Sie schon einmal an einem sehr, sehr heißen Tag in einem Boot auf dem Wasser gewesen und haben die kühle Gischt auf der sonnengewärmten Haut gespürt? Genauso ein frisches Empfinden hat man, wenn man Ebba sieht und hört und erlebt. Ebba ist zwanzig. Sie wirkt fragil, fast feengleich. Einzig ihre modellierte Muskulatur erzählt von ihrer besonderen Stärke. Und damit ist nicht nur physische Kraft gemeint. Die exakt definierte Ästhetik ihrer Anatomie setzt Disziplin voraus, Ausdauer, Ambition, einen konstruktiven Umgang mit Niederlagen, mentale Stärke.
Kein Zweifel. Dies ist eine Athletin. Darüber kann auch der Rollstuhl, in dem sie sitzt, nicht hinwegtäuschen.
Von der Leidenschaft ihres Vaters angesteckt, beginnt Ebba im Alter von acht Jahren zu rudern. Sie ist gut. Sehr gut, sogar. So gut, dass sie mit fünfzehn im schwedischen Nationalteam der Junioren an internationalen Wettkämpfen teilnimmt und einige Medaillen nach Hause holt.
Es läuft bei Ebba.
Sie ist ein junges Mädchen, das sportliche Erfolge feiert, langsam erwachsen wird und versucht, sich mit sich selbst anzufreunden. Dann, im Sommer 2017, ändert sich ihr Leben buchstäblich über Nacht. Die Katastrophe kündigt sich nicht an. Sie schleicht nicht vorher leise ums Haus. Sie sendet keine Warnsignale, die ungehört bleiben. Sie ist ganz einfach da. Aus dem Nichts.
„Ich erinnere mich, dass ich mit seltsamen Rückenschmerzen von der Arbeit nach Hause kam und in dieser Nacht nicht einschlafen konnte. Schließlich musste mein Vater mich zum Auto tragen und ins Krankenhaus fahren. Als ich am Morgen, aufwachte, konnte ich meine Beine weder bewegen noch fühlen.“
„Kurze Wende!“
... wäre hier wohl das Kommando vom Steuermann gewesen. Oder einfach „Stopp!“. Wirbelsäulenblutung. Keine Handbreit Wasser unter dem Kiel. Ebba wird die Tragweite nicht sofort klar.
„Zuerst habe ich nicht wirklich verstanden, was passiert war. Ich dachte, ich wäre in den Händen des Arztes sicher. Ich gehe ins Krankenhaus, um später gesund nach Hause zu laufen. Auf meinen Füßen. Aber mit jedem Tag wurde mir klarer, dass diese Lähmung von Dauer sein könnte. Dass dies mein neues Leben ist – im Rollstuhl.“
Mit dieser langsam an Gestalt gewinnenden Erkenntnis erwacht Ebbas Kampfgeist. Das Krankenhaus empfindet sie als Gefängnis.
Sie will zurück in ihr Leben.
„Ich erkannte, dass meine Chance, wieder die Kontrolle über meinen eigenen Körper zu haben, darin bestand, mich an mein neues Leben anzupassen.“
Aufstehen, zur Toilette gehen, sich waschen, … Nichts kann sie mehr allein. Und paradoxerweise fühlt sie sich genau deshalb einsam. Sie fühlt sich abhängig und „abgehängt“. Wieder selbständig zu werden war das größte Ziel der Siebzehnjährigen. Heute sagt sie, dass der unbändige Wille, sich die Kontrolle über ihren Körper und ihr Leben zurückzuerkämpfen, sie am meisten motiviert hat, durch diese schwere Zeit zu kommen.
„Während der ersten Wochen fühlte ich mich so ausgeschlossen und irgendwie nackt. Bei allem brauchte ich Hilfe. Eben war ich noch der Teenager gewesen, der gerade gelernt hatte, sich selbst zu lieben. Jetzt musste ich noch mal von vorn anfangen. Aber der Wille, wieder dieses Mädchen von früher zu sein, unabhängig und stark, hat mir sehr geholfen. Unabhängigkeit ist für mich so wichtig und wertvoll.““
Heute fühlt sich Ebba so unabhängig wie es ihr möglich ist. Natürlich gibt es Situationen in denen Sie eine helfende Hand braucht. Aber, trifft das nicht auf uns alle zu?
„In den Momenten, in denen ich das Gefühl habe, nur von Hindernissen umgeben zu sein, versuche ich eine Lösung zu finden und das Beste draus zu machen. Ich kann fast alles tun, was jeder andere auch tun kann, ich mache es nur vielleicht auf eine andere Weise.“
Kämpfen für den Traum
In der Reha profitiert Ebba besonders von den Therapeuten, die selbst querschnittgelähmt sind. Von ihnen schaut sich Ebba vieles ab – wie man den Alltag allein meistert und wie sehr es sich lohnt, durchzuhalten. So erobert sie sich ihre Unabhängigkeit zurück. Und was noch bedeutsamer ist: die Basis für die Erfüllung ihrer Träume …
„Schon im Krankenhaus habe ich gegoogelt, ob ich wohl wieder rudern könnte, was (ich Glückliche!) möglich war! Sieben Monate später saß ich wieder im Boot und acht Monate später nahm ich an meinem ersten internationalen Wettbewerb teil.““
Heute ist Ebba Schwedens einzige Para-Ruderin, die im internationalen Leistungssport antritt.
„Nach meiner Verletzung verlor ich nie meine Ziele aus dem Fokus. Mein größter Traum ist es, eines Tages bei den Paralympics anzutreten. Olympia war immer mein Ziel, auch wenn ich den Kurs ändern musste. Darüber hinaus möchte ich einfach nur glücklich sein und als der Mensch geliebt werden, der ich bin.“
Die querschnittsgelähmte Athletin Ebba ist eine Inspiration für alle, die glauben an ihrem Schicksal zu verzweifeln. Ihre Geschichte lehrt uns, dass es wichtig ist, sich nicht über eine Diagnose zu definieren, sondern ganz nah bei sich selbst zu bleiben. Bei den Dingen, die man liebt. Bei den Stärken, die man hat. Bei den Zielen, die einen antreiben.
Im Interview erzählt sie davon. Fast auf alle unsere Fragen ist Ihre Antwort irgendwie „Rudern“: was ihr hilft, was sie motiviert, was sie glücklich macht. Sich treiben zu lassen ist für sie keine Option. Sich das Ruder aus der Hand nehmen zu lassen erst recht nicht. Sie steuert. Und wenn es stromaufwärts geht, nimmt sie das sportlich.
„Nicht aufgeben. Dieses Schicksal trifft dich – und nur dich – weil du stark genug bist, damit fertig zu werden. Nimm den Tiefschlag als Herausforderung und steh auf!“